Sylvester Alone: Wenn die uns sehen, können sie nicht anders!

Rede anlässlich der Großen TfD-Revue zur Bundestagswahl, vorgetragen von Sylvester Alone im SELIG am 22. September 2017.

Viele verstehen ja nicht, was diese TfD soll, warum die überhaupt initiiert wurde, und dann noch der Name… Aber es gibt einen Grund, warum das Projekt Travestie für Deutschland heißen musste. Travestie hat nämlich eine tolle Eigenschaft, sie ist herrlich unbequem. Travestie beißt manchmal in den Augen, provoziert fast immer, hat das Potenzial, auf die Nerven zu gehen – und Travestie ist so überhaupt gar nicht darauf angewiesen, dem Betrachter zu gefallen.

Wissen viele vielleicht nicht, dass sie die Plakatmotive gar nicht geil finden müssen (können schon, aber nicht müssen). Denn hier geht es mal darum, NICHT gefallen zu müssen, anderen mal NICHT das zu zeigen, was sie sehen wollen. Sondern es geht darum, die Leute aus ihrer Komfortzone zu jagen, ihr Weltbild zu hinterfragen, das Erwartete zurück zu halten und zu überfordern.

Denn wer unterfordert, produziert nur immer mehr von dem, was schon da ist. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die politischen Parteien, die sich am verschwenderischsten mit den kulturellen Ergüssen unserer Geschichte schmücken, selbst eine Regierungsidee vertreten, in der solch eine Kultur überhaupt nicht entstehen könnte.

Weil nämlich alles Andersartige sofort weg gebissen wird. Jede Kritik ist Verleumdung. Alles Fremde ein unwillkommener Eindringling. Jeder Lebensentwurf abseits von Mutter-Vater-Kind gilt als widerwärtig oder unnatürlich. Unnatürlich ist sowieso mein Lieblingswort. Man könnte es auch umschreiben mit: „Mutti hat mir das damals verboten, also dürft ihr auch nicht, ätsch!“ All das wäre Unterforderung, eine plätschernde Bestätigung des immer gleichen. Als würde die Republik im Privatfernsehen laufen. Genau so sieht die Welt aus, in der ich nicht leben möchte.

Ich möchte nicht in einem Staat leben, der mit Lineal und Stift herum rennt und Linien zieht zwischen normal und unnormal, um die Unnormalen dann auszugrenzen. Ich möchte auch nicht in einer Gesellschaft leben, in der Stromlinie das neue Schwarz ist, und nur das erlaubt ist, was den Anderen gefällt. Ich möchte vielmehr in einer Welt leben, in der Menschen exakt so sein dürfen, wie sie sich auch wohl fühlen. Eine Welt, in der Frauen nicht permanent fickbar aussehen müssen. Eine Welt, in der Männer sich nicht angegriffen fühlen müssen, sobald ein anderer Mann sich unseriösen Fummel überstreift. Eine Welt, in der es scheißegal ist, wer wen liebt.

Darum muss das Projekt auch Travestie für Deutschland heißen: Weil Travestie ein Potpourri der Spielarten ist, die das konservative Weltbild wunderbar herausfordert. Ein rotes Tuch für die Rechtspopulisten – wenn die uns sehen, können sie nicht anders, als ihren Hass von der Leine zu lassen und ihre menschenverachtende Ideologie zu offenbaren, gut sichtbar im Internet, auf Facebook, in den Kommentarspalten.

Die Ausrede „Ich ahnte ja nicht, was das für Leute sind“, die zählt diesmal nicht.

Kamera, Schnitt: Maximilian Pilling

Bild: Steven P. Carnarius