Dies sind eure Definitionen, nicht meine

Eine frühere Fassung dieses Textes wurde unter dem Titel „Wann ist ein Mann ein Mann“ am 11. April 2018 im Polit-Magazin Kater Demos gedruckt.

„Nicht gefallen zu müssen, anderen mal nicht das zu zeigen, was sie sehen wollen. Sondern die Leute aus ihrer Komfortzone jagen, ihr Weltbild hinterfragen, das Erwartete zurückhalten und überfordern“, grölt Sylvester Alone in die überfüllte Neuköllner Bar hinein. Er erntet tosenden, non-binären Applaus von Drags, Queers und Unterstützer*innen dieser Botschaft: Mehr Radikalität in den politischen Forderungen, sonst passiert auch nichts!

Trans*Personen sind auf Rückhalt und Solidarität angewiesen. Sie sind wenige, sie haben keine Lobby, nirgends. Was man ihnen zugestand – vor immerhin 37 Jahren – war das deutsche Transsexuellengesetz, das heute nur noch rudimentär anwendbar ist und von Bundesrat und Bundesverfassungsgericht bruchstückweise kassiert wurde: Noch vor zehn Jahren wurden Verheiratete nach ihrer Transition zur Scheidung gezwungen, und bis 2011 wurden Betroffene mit Namensänderungswunsch erpresst, sich erst einmal operieren zu lassen, bevor Verwaltungsfachangestellte überhaupt darüber nachdenken, den Stempel in die Hand zu nehmen. Dieses Gesetz „schützt“ bis heute Trans*Personen vor sich selbst, statt Selbstbestimmung zu sichern. Weiterhin erleben jährlich Tausende die schikanierenden Hürden, die keinem nützen, aber dem Großteil großen Schaden zufügen. Im November 2017 wurde noch einmal nachgelegt und ein „drittes Geschlecht“ im deutschen Geburtenregister gefordert, der Ethikrat empfahl sogar einen völligen Verzicht der Geschlechterangabe im Personenstandsregister. Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet erst seit 2018 Transsexualität wertfrei als „Geschlechter-Inkongruenz“ und befreit Trans* endlich von dem Stigma einer Krankheit.

Blickdiagnose für die Katz

Diskriminierung scheint bei der Personenstands- und Namensänderung unverzichtbar zum Selbstverständnis der politischen Mitte zu gehören. Auch die vorformulierte Zweigeschlechtlichkeit darf bis heute von keinen behördlichen Vordrucken verschwinden, und jede Aufforderung, sich mit der eigenen Identität auseinander setzen zu müssen, scheint der wenig gefestigten Mehrheit pure Angst einzujagen. Denn Diversität fordert Flexibilität.

Sylvester Alone hat diese Angst nicht, er ließ seine weibliche Identität hinter sich und trägt im Alltag den Namen Jan. „Noch vor drei Jahren war ich eine unscheinbare Studentin in Sachsen-Anhalt, die bewusst kurze Schritte tapste und von der Mutter ermahnt wurde, gerade zu sitzen. Dann der lange Blick in den Spiegel, das innere Coming Out vor mir selbst, schließlich vor meinem Partner, und nun bin ich Trans*Aktivist in Berlin. Sowas kann passieren, wenn man sich in Frage stellt. Aber erst, seit ich als Fremdling wahrgenommen werde, fühle ich mich nicht mehr wie einer.“

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Die Blickdiagnose ist bei Jan für die Katz, wechselndes Make-up und Unisex-Kleidung machen eine Geschlechterzuteilung unmöglich. Jan hilft seiner Umwelt nicht, ihn geschlechtlich zu kategorisieren, und das hat seinen Grund.  Fragen wie: Wann ist ein Mann ein Mann? „Nehmen wir an, du bekommst ein Kind mit Penis. Nun behaupte ich, dass die Hebamme nach der Geburt nicht sicher gestellt hat, ob das geschlechtsdefinierende XY-Chromosom vielleicht fehlt. Ob vielleicht Eierstöcke statt Hoden angelegt sind, oder ob das Baby androgen-resistent ist, also sein Testosteron gar nicht verarbeitet werden kann, und in der Pubertät die Brüste beginnen zu wachsen. Ich stelle das Geschlecht des Kindes im blauen Strampler genetisch, organisch und hormonell in Frage – denn laut Statistik ist Intersexualität bei einem von 400 Kindern der Fall.“ Die Wissenschaft schreitet voran, Identitäten wandern, und die binäre Welt bröckelt. Da hilft es auch nicht, dass Präsident Trump der US-Gesundheitsbehörde verbietet, das Wort „Transgender“ im Haushaltsplan 2018 zu erwähnen: Trans* ist ein Fakt, der sich nicht ändern lässt. Geändert werden kann nur der Rahmen für Kinder, ihre Familie und ihr Umfeld.

Trans* als politisches Handlungsfeld begreifen

Wie beschwerlich deren Leben in Deutschland aussehen wird, liegt vorwiegend noch immer an der deutschen Regierung. In der Union will man von dem Thema vorher noch nie gehört haben und legte nun zähneknirschend ihren überfälligen Gesetzesentwurf zum dritten, „diversen“ Geschlecht nach. Doch das ändert nichts am behördlichen Spießrutenlauf, den Jan bewusst meidet: „Niemand weiß, wieviel Prozent der Bevölkerung sich als Trans* identifiziert. Denn wer keine Vornamens- und Personenstandsänderung beantragt, wird statistisch gar nicht erst erfasst. Ich kenne Trans*Personen, die völlig auf Umgestaltung verzichten, andere wählen die Mastektomie, nehmen andersgeschlechtliche Hormone oder lassen sich komplett operieren, doch nur Wenige beugen sich diesem psycho-pathologisierenden Begutachtungszwang.“

Diese Unsichtbarkeit, diesen blinden Fleck in der Wähleranalyse, begreift Jan auch als Chance: „Die Notwendigkeit, den Trans*Komplex endlich als politisches Handlungsfeld zu begreifen, schafft Bewegung bei den Grünen, den Linken, den Liberalen und langsam auch bei den Sozialdemokraten.“ Doch nicht eine dieser Parteien würde derzeit die geschlechtliche Selbstbestimmung zur Koalitionsbedingung machen, wie jüngst die gleichgeschlechtliche Ehe. „Trans*Rechte halten der Kosten-Nutzen-Analyse keiner Partei stand. Am Ende gilt – bei den vermeintlich explodierenden Kosten – eine Beibehaltung des Status Quo eh als alternativlos.“ Dass nach Grünen-Berechnungen neue Trans*Regelungen den Staat, dem Bürger und der Wirtschaft exakt 0 Cent kosten würden, und Krankenkassen wie Gerichte in großem Maße entlastet würden, stieß bei der Union erwartungsgemäß auf taube Ohren. „Der Bundesrat und das Bundesverfassungsgericht haben die Regierung wie oft schon gerügt? Merkel kann machen, wie es ihr beliebt.“ Solang Trans* als Krankheit gilt, verlangt das alte Gesetz weiterhin entwürdigende, kostspielige Gutachten – erst, wenn sich dies ändert, würde der Gang zum Standesamt genügen.

So ein nüchtern-unkomplizierter Verwaltungsakt war die Personenstandsänderung einer mexikanischen Sechsjährigen, und auch in Norwegen und Luxemburg ist es bereits Kindern überlassen, ihr Geschlecht zu bestimmen. Deutschland hingegen fällt im internationalen Vergleich eher durch das jahrzehntelang angesammelte Paragraphengestrüpp auf – aber immerhin lässt es sich hier friedlich und privilegiert leben. Jan baut auf einen Dominoeffekt: „Im letzten Jahrzehnt wuchs das Bewusstsein für Trans* ja erst langsam. Leitmedien und TV-Dokumentationen transportieren das Thema in die Wohnzimmer, Schulen bieten Queer-AGs an, und so baut sich nach und nach Solidarität auf. Die kleine Trans*Community bewegt sich, eckt an, behauptet sich und gewinnt international Beachtung dank sozialer Netzwerke. Es braucht Zeit, aber es wird der Moment kommen, da die zweigeschlechtliche Welt ihre selbstgesteckten Grenzen überwinden wird, in der endlich nicht mehr Transsexualität, sondern Transphobie als psychische Krankheit gelten wird.“

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Portrait-Aufnahmen von Jan: Piotr Pietrus


Das Märchen vom Penis

Eine frühere Fassung dieses Textes wurde unter dem Titel „Wann ist ein Mann ein Mann“ am 11. April 2018 im Polit-Magazin Kater Demos gedruckt.

„Gefühlt jede zweite Lesbe in meinem Freundeskreis steckte plötzlich im Stimmbruch und ließ sich einen Bart wachsen“, erinnert sich Nic an die Zeit, in der er verständnislos zusah, wie eine stolze Butch nach der nächsten mit der Transition begann. Es waren sieben aufregende Jahre, in denen er mit den Kingz of Berlin auf der Bühne mit angespanntem Po in die Luft bumste und den Schweiß in die rasende Meute spritzte – doch bei Geschlechtsangleichung hörte es bei ihm auf. Weshalb sich das zuvor verurteilte Gender-Privileg des Mannes aneignen und in heterosexuelle Beziehungsmuster fallen? Ihm als trans*identem Queer genügte es, genderfluid zu sein und sich nicht selbst mit Etiketten der zweigeschlechtlichen Welt festzulegen, sondern seinen eigenen Weg zu gehen. Dachte er.

„Ich war Anfang Vierzig, hatte Haus, Frau, Katzen und einen super Job. Ich war angekommen.“ Bis ein Tumor von einemTag zum nächsten Nics Leben auf den Kopf und alles in Frage stellte, nicht zuletzt die eigene Zukunft mit all ihren Möglichkeiten. Psychosomatische Folgeerscheinungen blieben nicht aus, der Körper zwang ihm immer wieder existentielle Fragen auf. „Ich musste alles, was ich gedacht und gelebt hatte, bewusst loslassen. Die Furcht vor der Transition wurde schließlich kleiner als die Angst, weiterzuleben wie bisher. Wenn ich damals gewusst hätte, wie ich mich heute fühle, hätte ich es schon vor Jahrzehnten getan.“

Penoid-Aufbau ausgeschlossen

Doch vor Jahrzehnten lebte er in einem Frauenkörper. Als Vierjährige gab sich Nic den ersten männlichen Vornamen, mit 14 Jahren wurde mit krummem Buckel versucht, die großen Brüste zu verbergen, dann gründete er mit den Kingz of Berlin die erste Drag-King-Truppe Europas, und doch gab es die Sperre im Kopf, das Problem der empfundenen Körperdysphorie nicht zu verbalisieren, auch nicht vor sich selbst. Der Schock der Krankheit und die Angst vor Krebs ließen diese Scheuklappen fallen: Nic nahm seinen Mut zusammen und erkämpfte sich den Körper, den er ein Leben lang vermisst hatte. Ein erster, nicht verhandelbarer Schritt war die Mastektomie: „Ich wachte nach der Operation auf, blickte begeistert an meinem brustlosen Oberkörper hinunter und dachte: Na, der Bauch muss weg!“, grinst er.

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Nic (rechts) mit den Kingz of Berlin, dem Gender-Fuck-Phänomen zum Millennium (Bild: SIEGESSÄULE/Anja Weber)

Auch wenn er seinen Körper wie viele Trans*Männer als identitätsstiftend empfindet, stimmt Nic einem Penoid-Aufbau noch immer nicht zu: Zu häufig haben Patienten unter postoperativen Rückbildungen des Gewebes zu kämpfen, mit Nachblutungen und Wundheilungsstörungen. „Viele Trans*Personen leiden unter der körperlichen Abnormität. Und zwar nicht, weil sie trans* sind, sondern weil sie der Norm nicht entsprechen und ausgegrenzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass es ohne diese Art von Diskriminierung deutlich weniger Menschen geben würde, die sich überhaupt unters Messer legen würden.“

Selbst im seltenen Fall einer unkomplizierten Operation sei die Penetration unbequem und enervierend, was einen eigenen Penis als ultimativen Männlichkeitspokal in Frage stellt. Günstige Angebote von Privatkliniken sind zudem selten, da die Nachfrage nicht groß genug ist. Nic überlegt, sich eine Epithese von der Krankenkasse erstatten zu lassen, mit der es möglich wäre, das Sexleben um neue Spielarten zu erweitern. „Natürlich hätte ich mit einem Fingerschnips gern einen Penis, aber der Weg dorthin ist 2018 noch zu steinig, um ihn aufzunehmen. Außerdem geschieht Sex im Kopf: Mit einer stimulierten Klitoris, einem haptisch-identen Penisersatz, manuellen Bewegungen und einem mechanisch erzeugten Erguss – aus Maisstärke und Wasser – ist ein ‚männlicher’ Orgasmus erlebbar. Eine spielerische Optik unterstützt die Fantasie, und Fantasie führt zum Orgasmus. Nicht nur für Penismenschen.“

Bestenfalls Bonus Hole Boy

Gewappnet mit einem neuen Körpergefühl und einer Portion Neugier stürzte Nic mit neuer Haut in die Szene. „Es herrscht eine unausgesprochene Übereinkunft unter Schwulen. Für die bin ich ein ‚Neuer’, werde schlimmstenfalls ignoriert, und werde bestenfalls als ein Bonus Hole Boy angeflirtet. In dieser Männerwelt, in der weibliche Befindlichkeiten keine Rolle spielen, ist Sex sehr präsent, und Trans*Männer gelten als weiteres Toy im Spielzeugparadies.“ Die schnell wirkenden Testosteron-Injektionen haben sukzessive Nics Identitätsspektrum geöffnet, aber eben auch sein sexuelles: „Du sitzt im Auto und wartest, dass die Ampel auf Grün schaltet, und plötzlich überfällt dich ein Hormonschwall und du läufst heiß.“ Das neu erblühte Körpergefühl können Trans*Männer in spezialisierten Tantra-Gruppen ausleben oder auch im Boiler: Berlins Schwulensauna stellt sich der neuen Sichtbarkeit von Trans*, schult ihr Personal und hat über keine negativen Reaktionen auf die neuen Fremden zu berichten. Nic und seine Trans*Kumpels schätzen diese Akzeptanz in der Szene, teils um als Beobachter den eigenen Voyeurismus zu bedienen, teils um sich in den Blicken Anderer ihrer Männlichkeit zu vergewissern.

Und Gelegenheiten dazu finden sich in den schwulen Hotspots Berlins genug: Montags geht’s ins Moritz, dienstags ins 3000, mittwochs trifft man sich im Prinzknecht, Donnerstag drängelt man in die Olfe, freitags bis sonntags vertritt man sich in diversen Clubs die Füße – und all das sind nur wenige von unzähligen Möglichkeiten für Gays. Dort, zwischen prallen Shirts und gespannten Reißverschlüssen, herrscht die Illusion einer Männlichkeit, die keinem Tageslicht standhalten würde. Und in diesem Fleischgewimmel fällt auch wenig auf, dass sich der mittelalte Nic im Stimmbruch befindet. Die Jahre als Herren-Imitator helfen ihm, im nächtlichen Gerumpel der Schwulen unauffällig mitzumachen. Drag-King-Ikone Diane Torr beschrieb Geschlecht als einen Akt, als Künstlichkeit, eine Travestie – und wer hat das besser drauf als Nic, der King of Berlin?

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Nic in seiner Rolle als Nic van Dyke, die nach seiner Transition wieder auflebte (Bild: MAXIM FASHION/Adrian Nakic)

Portrait-Aufnahme von Nic: Piotr Pietrus


Der Mann kann passieren

Eine frühere Fassung dieses Textes wurde unter dem Titel „Wann ist ein Mann ein Mann“ am 11. April 2018 im Polit-Magazin Kater Demos gedruckt.

Morgentoilette, ins Büro rasen, hinterher im Fitness-Studio schwitzen, anschließend zum Tinder-Date, um nachts geschafft ins Bett zu fallen. Solche Alltäglichkeiten werden von Männern mit Penis fundamental anders erlebt als von Männern mit Vagina. Es kann den Anderen gleich sein, ob der kernige Anzugträger in seinem Aktenkoffer ein Pack-n-Piss-Set trägt, um im Alltag originalgetreu zu urinieren. Und es sei auch der Fantasie überlassen, ob der attraktive Buchhändler des Vertrauens doppellagige Unterhosen mit eingelegtem Penisschatten trägt, oder sich tatsächlich freut, seine Stammkundin zu sehen.


„Wenn’s nach der AfD ginge, müsste ich noch Dirndl tragen“, mahnte der Graubart auf dem TfD-Plakat. Die Polit-Aktion, die es im sommerlich-seichten Bundestagswahlkampf 2017 von Berliner Straßenlaternen bis in die New York Times schaffte, präsentierte einen gut gereiften Mann in Lederhose, der sich vom Trachtenkleid befreit fühlte – und zu Hunderten kratzte man sich die Köpfe, da half auch nicht der Untertitel: #MyGenderMyChoice. Zu fremd war der Gedanke, dass das bärtige TfD-Gesicht einst als blondzöpfige Feministin durch die Lesbenszene fegte.

Der Triumph des „Passings“

Als Mann erkannt zu werden, ist ein hart erkämpfter Erfolg für Trans*Männer wie Marian. Von der Gesellschaft endlich das Geschlecht zugewiesen zu bekommen, das man selbst gewählt hat und erst seit Kurzem mit sich trägt, nennt man den Triumph des „Passings“, den viele Trans*Personen anstreben. Für diesen Moment, in dem man die fremd empfundene Haut nach Jahrzehnten endlich abgestreift bekommt, und seinen Körper zeigen kann, ohne Erklärungen abgeben zu müssen, wie Fußnoten zur eigenen Erscheinung – dieser Moment entzündet einen inneren Pride March.

Auch wenn zehntausende Trans*Männer in Deutschland von einem Freudenfest wie diesem teils tagelang zehren, sind es die stillen Momente, die diesen Weg prägen. Das jahrelange Fremdeln mit sich selbst, dass hier etwas nicht stimmen kann. Die Sorge im Gesicht der Mutter, ob die Tochter je glücklich sein kann. Die Angst des Vaters, das Kind würde nie im Arbeitsleben ankommen und eine Familie gründen. Die Kälte im Blick alter Freundinnen, die den Weg nicht mit einem gehen wollen. Das eigene Lächeln, das sich antrainiert wurde, um Stärke auszustrahlen – in der Hoffnung, diese Stärke möge irgendwann nach innen wirken und die Kraft geben, den letzten Schritt zu gehen: Sich fremd zu machen vom eigenen Körper, sich loszusagen, aufzubrechen ohne Aussicht auf Rückkehr, kein Tourist mehr zu sein, sondern Emigrant. Die eigene Welt aus den Angeln zu heben, und all das wieder und wieder, Jahr um Jahr, erst nur im Kopf durchzuspielen, bevor der erste Schritt getan wird.

Marian

Eine schöne, große Frau mit blonder Mähne und Hang zur Bühne, vom Publikum angeschmachtet und immer eine Liebe an der Hand. Ein lesbischer Traum, der insgeheim keiner war. „Ich kannte in den Neunzigern genau ein Trans*Paar, und das lebte zurückgezogen und ohne Freunde in meiner Nachbarschaft“, erinnert sich Marian. Die Perspektive war für ihn so abschreckend, dass ein Leben als Mann weiterhin eine Fantasie blieb, und Marians Angst vor Benachteiligung war berechtigt. Noch vor zwanzig Jahren schätzte der Bundestag über 60 Prozent der statistisch erfassten Trans*Personen als Leistungsempfänger ein – eine Situation, die die Abgeordneten auf die marginalisierte Form der Sexualität zurückführten, die im gesellschaftlichen Diskurs so fremd war wie den meinungsbildenden Medienhäusern.

Kingz of Berlin: Nicht Travestie, sondern Traum

Nein, Marian entschied sich gegen eine „Pflichttherapie“, er hatte auch keine Lust, sich jahrelang von Folgeschäden kurieren zu lassen. All der Kostenaufwand, die Jahre, die Opfer, und immer die Ungewissheit, ob die Krankenversicherung für den Aufwand und die langen Ausfallzeiten aufkommen würde – all das war zu riskant, um das schöne Leben inmitten der florierenden Lesbenszene Berlins aufzugeben, den beruflichen Aufstieg und den gefühlten Wohlstand. „Ich war nie ein Pionier, ich sah mich nicht für etwas kämpfen. Diesen Mut brachten andere auf.“

Es war das Millennium, das die Zeitenwende brachte. Über Nacht überstrahlte der rasend schöne Johnny Berlin die Szene der Hauptstadt, im Kino rührte die Trans*Tragödie „Boys Don’t Cry“ zu Tränen, und ein Haufen wild gewordener Herren-Imitatorinnen fielen über Deutschland her: Die Kingz of Berlin schlugen ein wie ein Gender-Blitz. Doch während die Medien fasziniert berichteten und reihenweise Frauen in Ohnmacht kippten, fand Marian an dem dechiffrierten Macho-Gehabe und der Boyband-Persiflage nichts witzig. „Es war, als stünde alles Kopf. Das war nicht nur Travestie, nicht nur angeklebte Bärte und abgebundene Brüste. Es waren die harten Blicke, die klaren Ansagen, die kraftvollen Stimmen, der Chauvinismus – all das, wovon wir Männer seit zwei Generationen entwöhnen wollten. Die Bühnenshow der Kingz war das Leben, das ich wollte. Ohne Boxen-Sound und Spotlight für eine Nacht, sondern jeden Tag.“

Vorurteile gegen die Verherrlichung des Patriarchats und Ausgrenzung abtrünniger Lesben machten es noch immer schwer, den Schritt in die Transition zu wagen, sich überhaupt ein reibungsloses Leben vorzustellen: Wer würde ihn dann noch lieben? Dies war eine wiederkehrende Frage, heraufbeschworen von der Angst, sich vor Anderen lächerlich zu machen, angezweifelt und herabgesetzt zu werden. Er brauchte seine Zeit, zwei Schritte vor und einen zurück, bis er die Tatsache akzeptierte, dass das eigene Glück erst nach chirurgischen und hormonellen Behandlungen warten würde. Marian würde nach dem sozialen Geschlecht auch das biologische Geschlecht wechseln und endlich aussehen, wie er sich ein Leben lang fühlte.

Portrait-Aufnahmen von Marian: Piotr Pietrus


Wir sind queer! Wir sind hier!

Maurus Knowles‘ Rede zum Tuntenspaziergang vorm Rathaus Neukölln am 26. Mai 2018.

Wir sind trans. Wir sind lesbisch. Wir sind schwul. Wir sind Tunten. Wir sind intersexuell. Vielleicht sind wir etwas, von dem du noch nie gehört hast, und das du nicht verstehst. Einige von uns sind sogar heterosexuell. Wir sind alles mögliche, aber wir folgen nicht jeder Norm! Und eines haben wir gemeinsam: Wir bitten NIEMANDEN um Erlaubnis, das zu sein, was wir sind!

Wir sind, was wir sind! Und wir sind das NICHT heimlich! Du kannst uns sehen, hier und jetzt. Wir wohnen Wand an Wand. Wir begegnen uns auf der Straße.

Wir sind, was wir sind! Du hast ein Problem damit? Dann such dir einen Therapeuten: Get over it! Du wirst selber klein gemacht? Dann guck dir an, WER dich klein macht!

Wir sind, was wir sind. Und das, was wir noch werden wollen, frei und selbstbestimmt. Wir sind uns untereinander nicht immer einig. Und wir wollen gar nicht von allen geliebt werden! Was wir fordern, ist Respekt! Wir fordern Akzeptanz! Wir fordern Selbstverständlichkeit!

Wir sind queer, und wir sind hier!

Queer-Aktivistinnen Kaey, Maurus Knowles und Gaby Tupper vor Hunderten Protestierenden in Neukölln. (Bild: Die Weddingfilmer)

TfD-Rede zum Queer History Month 2018

Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zum 5. Queer History Month, vorgetragen von Jacky-Oh Weinhaus im Jugendmuseum Schöneberg am 14. November 2017.

„Das T-Shirt sieht voll schwul aus.“
„Schwule sind soooo eklig.“
„Boah, der is‘ so’ne Schwuchtel.“

Das ist Geschichte. Gelebte Zeitgeschichte, um genau zu sein. Wir hören sowas zwar mittlerweile nicht mehr jeden Tag, aber wir hören es immer noch. Da hat Kleidung plötzlich eine Sexualität und Sexualität auch gleich eine Wertung. Das ist oft gar nicht diskriminierend gemeint. Schwul ist einfach – was? Anders, fremd vielleicht? Oder ist „schwul“ nur ein anderes Wort für „scheiße“? Fängt ja immerhin beides mit S-C-H an.

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Das hat Ludwig Wittgenstein gesagt; der war ein österreichischer Philosoph, der sich in seinen Werken u.a. auf die Anwendung von Sprache bzw. die Unterscheidung sinnvoller und unsinniger Sätze konzentriert hat. Ein schlauer Mann also. Wenn wir sein Zitat auf unser Beispiel anwenden, könnten wir Folgendes behaupten: Wer „schwul“ mit „scheiße“ gleichsetzt oder mit „schwach“ – übrigens auch wieder so ein tolles Wort mit S-C-H –, zieht eine Grenze. Das Wort „schwul“ erhält somit Eigenschaften, die es eigentlich gar nicht hat. Es wird sogar gleichgesetzt mit anderen Begriffen, die in keiner Relation zueinander stehen. Und – weswegen passiert das? Um zu unterscheiden?

Na, sagt irgendwer, das liegt doch auf der Hand: Die eigentlichen Eigenschaften eines schwulen Mannes sind halt so. So viel muss man da nicht unterscheiden. Der Schwule ist unmännlich; er ist tuntig, macht gern „Mädchensachen“ ist halt uncool. Und darin steckt gleich eine doppelte Wertung: Was Mädchen machen, ist blöd. Oder anders gesagt: Der heterosexuelle Mann ist stark, groß, überlegen – schlicht der King. Und die heterosexuelle Frau? Die ist im Umkehrschluss schwach, klein und unterlegen – die Untertanin. Man könnte fast „Opfer“ sagen. So dringt der Mann ja auch in die Frau ein, körperlich. Er erobert, er unterwirft sie. Er drückt damit seine Stärke aus – und ihre Unterlegenheit. Weiblichkeit, so die logische Schlussfolgerung, ist eine Schwäche.

Und auch das ist Geschichte – gelebte – Jetzt-Geschichte, die passiert jeden Tag: Sexualität und Geschlecht, d.h. Gender, werden bewertet. Sie werden eingeteilt in „gut“ und „schlecht“, in „richtig“ und „falsch“. Wenn eine Person also „schwul“ in einem abwertenden Sinne benutzt – bspw. auf Dinge bezogen, Gegenstände, die selbstverständlich keine Sexualität besitzen, wie das T-Shirt eben –, so muss diese Person das nicht diskriminierend meinen. Sie beleidigt damit keinen schwulen Mann in der Realität, zumindest nicht in diesem Augenblick. Es ist ja „nur“ ein Wort. Und trotzdem: die negative Nutzung, die Abwertung zieht eine weitere nach sich. Sie zieht eine Grenze. Sie beschränkt eine Welt. Und zwar im Zweifelsfall die eines schwulen Mannes. Und das ist sehr wohl sehr diskriminierend.

Wer aber hat die Wörter miteinander gleichgesetzt? Woher kommt die Verbindung von „schlecht“, „schwach“, „scheiße“, „schwul“ – S-C-H hoch vier –, und wie kann es sein, dass diese Gleichsetzung heute genauso selbstverständlich geschieht wie vor Jahren und Jahrzehnten? Wer legt fest, dass Sexualität eine Beschimpfung ist? Und könnte es Parallelen geben zwischen Sprache und Hassverbrechen gegen Personen der LGBTIQ*-Communities weltweit? (LGBTIQ* steht übrigens für Lesben, Schwule, Bi-, Trans*- und Intersexuelle sowie queere Menschen).

Nehmen wir doch beispielsweise Brasilien. Hier sind bis zum September 2017 insgesamt 227 Personen aus der LGBTIQ*-Community umgebracht worden, davon 125 Transvestiten und Trans*sexuelle. In Tschetschenien werden bis zum heutigen Tag homosexuelle Männer verfolgt, misshandelt, gefoltert und getötet. Wenn es nach Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, dem Präsidenten der Teilrepublik Tschetschenien, geht, gibt es in seinem Land überhaupt keine schwulen Männer. Und damit gliedert sich Kadyrow hervorragend ein in eine lange Reihe homophober Politiker*Innen, die das Sagen haben. Immerhin ist Homosexualität in über 70 Ländern strafbar – darunter auch mit der Todesstrafe.

Liebe Schülerinnen und Schüler – wir wollen euch diese Worte zur Auftaktveranstaltung des Queer History Month mit auf den Weg geben. Ihr seid hier, um euch mit queerer Geschichte auseinanderzusetzen. Ihr seid hier, um die Welt zu erweitern statt sie weiter einzugrenzen. Dabei geht es nicht allein nur um Verständnis, sondern gerade auch um Empathie – die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Ihr werdet sehen, dass eine lesbische Frau nicht „männlich“ sein muss, um Frauen zu lieben. Dass in einer schwulen Beziehung beide Partner Männer sein dürfen, und nicht einer von beiden „die Frau“. Dass trans*-idente Menschen ein Recht darauf haben, ihr Geschlecht selbst zu bestimmen.

Es geht dabei nicht allein um negative Aspekte – d.h. um all die Zäune und Mauern, die andere aufgestellt haben. Es geht vielmehr ganz gezielt um die Ausbrüche – die vielen kleinen und großen Kämpfe – und wahre Stärke, die keine Begrenzung zulässt. Es geht darum zu verstehen, dass ihr – ihr alle – Teil der Lösung seid. Ihr bestimmt, und ihr allein, wie groß und weit diese Welt sein kann. Und das beginnt bereits mit einem Wort wie „schwul“, das plötzlich nicht mehr „scheiße“ bedeutet.


Informationen zum Queer* History Month
Bild: Levi Saunders

DJ Tchuani: Ich bin afrodeutsch, also deutsch!

Dominik Djialeu, 31, wuchs in Niedersachsen auf, bevor es ihn vor neun Jahren in den Wedding verschlug. Seine Party BERRIES zählt zu den Favoriten der Queer Community und veränderte seit 2014 das Gesicht der Berliner Hip-Hop-Szene, indem gezielt auf Macho-Attitüde und Homo-Bashing verzichtet wird.

Obwohl Afrodeutsche nur 0,5% der Bevölkerung ausmachen, sind sie öfter als andere PoC (People of Color) alltäglichen Aggressionen ausgesetzt. Wann wurde dir bewusst, dass du aufgrund deiner Hautfarbe anders behandelt wirst?

Ohne es benennen zu können, ist mir schon sehr früh aufgefallen, dass ich von Fremden eine besondere Aufmerksamkeit bekam als andere Kinder. So richtig greifen konnte ich den Grund wahrscheinlich erst im Grundschulalter, als ich für meine Hautfarbe oder meine großen Lippen gehänselt wurde. Damals, als es auf dem Schulhof neben mir nur eine weitere schwarze Person gab, habe ich mir gewünscht, einfach nur so wie die anderen zu sein: weiß. Es gab zwar auch rassistische Arschloch-Lehrer, aber schlimmer fand ich die, die mich bevorzugt haben, nach dem Motto: Er hat es ja eh schon so schwer. Mitleid wollte ich schon damals nicht. Ich habe sehr früh meine Koffer gepackt und bin erst nach Hamburg und dann nach Berlin geflüchtet, wo ich gewissen Dingen nicht mehr ausgesetzt bin.

Wie hast du deinen Umzug nach Berlin erlebt, wo du plötzlich einer von zehntausenden Schwarzen warst?

In Berlin konnte ich mir mein eigenes Umfeld basteln – mit Freunden, die über ihren Tellerrand hinwegblicken, und mit einem Arbeitsumfeld, in dem ich mich wohlfühle. Natürlich geht das in der Großstadt viel einfacher als in der Provinz, hier kann ich Idioten, Rassisten und Nazis viel besser meiden. Außerdem bin ich nicht mehr the only black Gay in the Village: Die berühmte Bubble also, in der ich jetzt lebe. Ich habe mich allerdings nie dafür interessiert, nur noch mit Schwarzen rumzuhängen. Es ist wichtig und stärkend für mich, im Austausch mit andern PoC zu sein, aber meine Vorstellung von einer idealen Gemeinschaft ist eine, in der Herkunft, Klasse, Sexualität und Geschlecht keine Rolle spielen. Dies ist einer der Gründe, warum ich vor drei Jahren angefangen habe, Parties zu veranstalten, in denen ich genau dieses Anliegen aufgreife. BERRIES ist wahrscheinlich mein stärkster politischer Beitrag zu dieser Stadt.

Welche rassistischen Strukturen siehst du möglicherweise klarer, die weißen Deutschen gar nicht bewusst sind?

Ich habe einen starken Radar für Rassismus und Ungerechtigkeiten und schlage da schneller Alarm. Es gibt aber auch genug Alltagsrassismus, den ich gar nicht richtig wahrnehme, wahrscheinlich aus gesundem Selbstschutz. Bei Flughafenkontrollen aus der Masse gezogen zu werden oder von Polizisten auf der Straße einen doppelten Blick zu bekommen, ist fast schon zum Running Gag für mich geworden. Sauer macht mich aber Ignoranz. Zum Beispiel hinderte neulich in der U-Bahn ein Mann eine schwarze Frau daran, sich neben ihn zu setzen. Niemand reagierte darauf, alle starrten in ihre iPhones. Als ich ihn ruhig und interessiert nach seinem Problem fragte, er aber keine Argumente hatte und sich darauf fluchend umsetzte, haben mir die Umsitzenden plötzlich gut zugesprochen. Der Frau war die Situation unglaublich unangenehm und ich hab mir nur gedacht: Auf den Support von euch Ignoranten und feigen Fickern kann ich im Nachhinein auch bestens verzichten. Zivilcourage in Berlin ist absolut ausbaufähig.

Auf die Frage, wo ich herkomme, die ich bewusst einfach nur mit „Göttingen“ beantworte, folgt in den allermeisten Fällen die Frage nach meiner „tatsächlichen“ Herkunft. Selbst wenn das von Leuten kommt, die sich selbst für weltoffen halten, sagt mir das jedes Mal: Eigentlich gehörst du nicht hier her, eigentlich ist das nicht dein Land. Ich bin hier aber verdammt nochmal geboren, schwarze Kinder werden auch in Deutschland gezeugt. Auch wenn ich mit der kamerunischen Kultur meines Vaters sympathisiere und diesen Teil in mir sehr wertschätze, bin ich am Ende afrodeutsch. Also deutsch.

Mit steigender Sichtbarkeit äußert sich Rassismus immer unverblümter, auch in der LGBTIQ*-Blase: Welche Art von Ausgrenzung bzw. Begünstigung begegnet dir in der Queer Community?

Grindr und GayRomeo sind voll von Statements wie „Schwarze und Südländer bevorzugt“ – bei solchen und ähnlichen Äußerungen wächst mein riesengroßer Schwanz direkt nach innen. Meine Hautfarbe sollte mich nicht für Sex qualifizieren, was leider auch ein Phänomen in der linken Szene ist: Da gibt es dann die weißen Deutschen, die nur Ausländer daten, um ihrem vermeintlich langweiligen Deutschsein besser zu entkommen. Am Ende ist dies auch einfach nur verdammt rassistisch.

Als wir im SchwuZ vor der TASTY-Party, die ich mitveranstalte, verkündet haben, dass sich unser Event auch an Geflüchtete richtet, hat das bei einigen für blankes Entsetzen gesorgt: Wie könnten wir nur Leute einladen, die kriminell, homophob und frauenfeindlich seien?! Die Menschen, die so denken, können genauso gern zuhause bleiben wie diejenigen, die nur zur TASTY kommen, weil dort so viele „geile Araber“ rumlaufen.

AfD-Sternchen Achille Demagbo, seit 14 Jahren im Land, hält Deutsche nicht für fremdenfeindlich. Du kennst das Landleben, du kennst Berlin: Wie rassistisch ist Deutschland 2017?

Demagbo scheint ein verblendeter Clown zu sein, genauso wie der Rest seiner Possie, nur bei ihm erschüttert es mich umso mehr. Verkappte Nazis gibt es eben überall, da sind Hautfarbe und Region egal. Die gefährlichsten sind halt die, die nicht direkt als solche erkennbar sind.

Auf dem Land findet man Fremdenfeindlichkeit geballter und offener als in der Stadt, was möglicherweise mit Frust oder Angst vor dem Unbekannten zu tun hat. In der Großstadt kann man sich viel leichter abschotten und eine eigene kleine schöne Welt bauen, was jedoch auch gefährlich ist, weil das nichts an der Tatsache ändert, dass Rassismus auch in Berlin zum Alltag eines jeden gehört, der nicht „deutsch“ aussieht.

DJ Tchuani, wir lieben dich.

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Bilder: Alexia Hahn

Frau Weinhaus fragt… Christine Lüders

Im Auftrag der TfD – Travestie für Deutschland:
Teil 5 der Formatreihe „Frau Weinhaus fragt…“

Heute: Christine Lüders. Ihres Zeichens Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie erklärt uns einige wissenswerte Aspekte der AfD – und vor allem, was bei ihnen absolut nicht läuft.



Bild: Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Frau Weinhaus fragt… Volker Beck

Im Auftrag der TfD – Travestie für Deutschland:
Teil 4 der Formatreihe „Frau Weinhaus fragt…“

Heute: Volker Beck. Der Menschenrechtspolitiker, und seinerseits aktiver Grüner, hat sich nicht nur umfassend mit Gesetzen zur Antidiskriminierung, der Informationsfreiheit sowie dem Zuwanderungsrecht beschäftigt. Er kümmert sich auch um die Rechte von Oppositionellen, Frauen, Kindern, ethnischen, kulturellen und religiösen Minderheiten sowie Homosexuellen. Hier sein Statement zur AfD.


Bild: Angelika Kohlmeier

Kein Sex mit Nazis

Kein Sex mit Nazis lese ich auf dem Plakat, das meine queer-aggressive Freundin in der verschlafenen Neuköllner Finowstraße an einen Baum lehnt, direkt auf dem grünen Mittelstreifen gegenüber einem Dreißiger-Jahre-Viergeschosser. Allerdings ist kein Nazi weit und breit zu sehen, gegen den es zu demonstrieren gilt. „Eben, die sind nicht erkennbar – wie HIV unter der Nachweisgrenze. Nur mit dem Unterschied, dass die AfD-Pisser ihr braunes Gift still weiter verspritzen. In MEINER Szene!!“

Ja, Szenen sind Berlinern heilig, sie bieten Schutzraum vor vermeintlichen Antagonisten. Die junge Queer-Szene in Berlin trägt ihre Offenheit, ihren Antirassismus und ihre Gender-Diversität stolzbrüstig vor sich her, und hat wenig Sympathie für privilegierte Biodeutsche, die sich in den erkämpften Homo-Schutzraum eingerichtet haben und konservativ wählen: Etwa geistig-faule Chauvinisten wie Thomas de Jesus Fernandes oder Spitzenkandidatin Alice Weidel, die es zu Ruf und Schande gebracht haben als homosexuelle Gesichter der AfD.

Ich kenne den, der den Fensterblick auf das Plakat wenig genießen wird, kaum. Jung, gebildet, schön, ein blonder Weltenbummler aus guten Hause, die Jüdin Hilde Domin auf dem Nachttisch, einen israelischen Schwuli neben sich im Bett. Und eben diesem nichteuropäischen, dunkelhäutigen, homosexuellen Nahostler gilt der Weckruf auf Pappe – „Kein Sex mit Nazis“ – und er soll erhört werden, wenn auch nicht an jenem Abend. Noch werden Ohren und Hirn noch ausgestellt, und weiter gebumst.

Erst Wochen später später wird sich der HJ-Schönling offenbaren: Mauern gegen die Barbaren seien unvermeidlich! Schwulenrechte hintenanzustellen aufgrund der bevorstehenden Umvolkung! Und überhaupt: „Willst du in Deutschland eine Scharia?“ Endlich sollte der freundschaftliche Protest Früchte tragen, die Plakat-Aktion, der gemeinsame Theaterbesuch des AfD-Proteststückes FEAR in der Schaubühne, zähe redundante Diskussionen bis tief in die Nacht – und endlich wird dem Israeli, dem ganzen Stolz seines Holocaust überlebenden Großvaters, angesichts seines völkischen Liebhabers spuckeübel.

Mit dem Ende ihrer Romanze endet auch der Aktionismus besagter Freundin, was das heimliche AfD-Mitglied sicherlich aufatmen lässt. Das letzte, was seinem blütenweißen Lebenslauf fehlen würde, wäre *sein Name* plus *AfD* als Google-Suchergebnis. Er baut auf die Diskretion seiner Familie und Freunde, ihn vor Konfrontation zu schützen. Es werden alle dichthalten, nur der Heldin dieser Anekdote, meiner antifaschistischen Freundin, der juckt es noch immer in den Fingern.


Text: Buffalo Meus
Bild: Jan Voß (von WeitWegOutOfSpace)

Frau Weinhaus fragt… Gisela Sommer

Im Auftrag der TfD – Travestie für Deutschland:
Teil 3 der neuen Formatreihe „Frau Weinhaus fragt…“

Heute: . Die alteingesessene Punk-Queen – ihrerseits Verzweiflung auf Kackstelzen tragend, und zwar vorbildlich auf dem Weg zwischen Kiez-Bingo und Tuntenhaus –, erzählt hier frei, was sie von der AfD hält.


Bild: Felix Grimm