TfD-Rede zum Queer History Month 2018

Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zum 5. Queer History Month, vorgetragen von Jacky-Oh Weinhaus im Jugendmuseum Schöneberg am 14. November 2017.

„Das T-Shirt sieht voll schwul aus.“
„Schwule sind soooo eklig.“
„Boah, der is‘ so’ne Schwuchtel.“

Das ist Geschichte. Gelebte Zeitgeschichte, um genau zu sein. Wir hören sowas zwar mittlerweile nicht mehr jeden Tag, aber wir hören es immer noch. Da hat Kleidung plötzlich eine Sexualität und Sexualität auch gleich eine Wertung. Das ist oft gar nicht diskriminierend gemeint. Schwul ist einfach – was? Anders, fremd vielleicht? Oder ist „schwul“ nur ein anderes Wort für „scheiße“? Fängt ja immerhin beides mit S-C-H an.

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Das hat Ludwig Wittgenstein gesagt; der war ein österreichischer Philosoph, der sich in seinen Werken u.a. auf die Anwendung von Sprache bzw. die Unterscheidung sinnvoller und unsinniger Sätze konzentriert hat. Ein schlauer Mann also. Wenn wir sein Zitat auf unser Beispiel anwenden, könnten wir Folgendes behaupten: Wer „schwul“ mit „scheiße“ gleichsetzt oder mit „schwach“ – übrigens auch wieder so ein tolles Wort mit S-C-H –, zieht eine Grenze. Das Wort „schwul“ erhält somit Eigenschaften, die es eigentlich gar nicht hat. Es wird sogar gleichgesetzt mit anderen Begriffen, die in keiner Relation zueinander stehen. Und – weswegen passiert das? Um zu unterscheiden?

Na, sagt irgendwer, das liegt doch auf der Hand: Die eigentlichen Eigenschaften eines schwulen Mannes sind halt so. So viel muss man da nicht unterscheiden. Der Schwule ist unmännlich; er ist tuntig, macht gern „Mädchensachen“ ist halt uncool. Und darin steckt gleich eine doppelte Wertung: Was Mädchen machen, ist blöd. Oder anders gesagt: Der heterosexuelle Mann ist stark, groß, überlegen – schlicht der King. Und die heterosexuelle Frau? Die ist im Umkehrschluss schwach, klein und unterlegen – die Untertanin. Man könnte fast „Opfer“ sagen. So dringt der Mann ja auch in die Frau ein, körperlich. Er erobert, er unterwirft sie. Er drückt damit seine Stärke aus – und ihre Unterlegenheit. Weiblichkeit, so die logische Schlussfolgerung, ist eine Schwäche.

Und auch das ist Geschichte – gelebte – Jetzt-Geschichte, die passiert jeden Tag: Sexualität und Geschlecht, d.h. Gender, werden bewertet. Sie werden eingeteilt in „gut“ und „schlecht“, in „richtig“ und „falsch“. Wenn eine Person also „schwul“ in einem abwertenden Sinne benutzt – bspw. auf Dinge bezogen, Gegenstände, die selbstverständlich keine Sexualität besitzen, wie das T-Shirt eben –, so muss diese Person das nicht diskriminierend meinen. Sie beleidigt damit keinen schwulen Mann in der Realität, zumindest nicht in diesem Augenblick. Es ist ja „nur“ ein Wort. Und trotzdem: die negative Nutzung, die Abwertung zieht eine weitere nach sich. Sie zieht eine Grenze. Sie beschränkt eine Welt. Und zwar im Zweifelsfall die eines schwulen Mannes. Und das ist sehr wohl sehr diskriminierend.

Wer aber hat die Wörter miteinander gleichgesetzt? Woher kommt die Verbindung von „schlecht“, „schwach“, „scheiße“, „schwul“ – S-C-H hoch vier –, und wie kann es sein, dass diese Gleichsetzung heute genauso selbstverständlich geschieht wie vor Jahren und Jahrzehnten? Wer legt fest, dass Sexualität eine Beschimpfung ist? Und könnte es Parallelen geben zwischen Sprache und Hassverbrechen gegen Personen der LGBTIQ*-Communities weltweit? (LGBTIQ* steht übrigens für Lesben, Schwule, Bi-, Trans*- und Intersexuelle sowie queere Menschen).

Nehmen wir doch beispielsweise Brasilien. Hier sind bis zum September 2017 insgesamt 227 Personen aus der LGBTIQ*-Community umgebracht worden, davon 125 Transvestiten und Trans*sexuelle. In Tschetschenien werden bis zum heutigen Tag homosexuelle Männer verfolgt, misshandelt, gefoltert und getötet. Wenn es nach Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, dem Präsidenten der Teilrepublik Tschetschenien, geht, gibt es in seinem Land überhaupt keine schwulen Männer. Und damit gliedert sich Kadyrow hervorragend ein in eine lange Reihe homophober Politiker*Innen, die das Sagen haben. Immerhin ist Homosexualität in über 70 Ländern strafbar – darunter auch mit der Todesstrafe.

Liebe Schülerinnen und Schüler – wir wollen euch diese Worte zur Auftaktveranstaltung des Queer History Month mit auf den Weg geben. Ihr seid hier, um euch mit queerer Geschichte auseinanderzusetzen. Ihr seid hier, um die Welt zu erweitern statt sie weiter einzugrenzen. Dabei geht es nicht allein nur um Verständnis, sondern gerade auch um Empathie – die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Ihr werdet sehen, dass eine lesbische Frau nicht „männlich“ sein muss, um Frauen zu lieben. Dass in einer schwulen Beziehung beide Partner Männer sein dürfen, und nicht einer von beiden „die Frau“. Dass trans*-idente Menschen ein Recht darauf haben, ihr Geschlecht selbst zu bestimmen.

Es geht dabei nicht allein um negative Aspekte – d.h. um all die Zäune und Mauern, die andere aufgestellt haben. Es geht vielmehr ganz gezielt um die Ausbrüche – die vielen kleinen und großen Kämpfe – und wahre Stärke, die keine Begrenzung zulässt. Es geht darum zu verstehen, dass ihr – ihr alle – Teil der Lösung seid. Ihr bestimmt, und ihr allein, wie groß und weit diese Welt sein kann. Und das beginnt bereits mit einem Wort wie „schwul“, das plötzlich nicht mehr „scheiße“ bedeutet.


Informationen zum Queer* History Month
Bild: Levi Saunders