Noam Brusilovsky, 29, wuchs bei Tel Aviv auf und studierte Regie in Berlin. Er adaptierte 2016 sein eigenes Stück WORAN MAN EINEN JUDEN ERKENNEN KANN für den Deutschlandfunk, bevor er ein Jahr später für BROKEN GERMAN den Deutschen Hörspielpreis erhielt. Anlässlich des Jubiläums der israelischen Staatsgründung produzierte er 2018 die SWR-Radioserie WE LOVE ISRAEL.
heißt der Podcast, den du gemeinsam mit Journalist Ofer Waldman produziert hast. Wer ist „WE“, um welche „LOVE“ handelt es sich, und welche Facette von „ISRAEL“ wird denn geliebt?
Von der anti-nationalistischen Antifa mit einem starken Pro-Israel-Block bis hin zur AfD, dem selbsterklärten „Garanten jüdischen Lebens“, scheint die deutsche Liebe für Israel ja groß zu sein. Aber ich frage mich: Wer liebt denn hier wen, und wieviel kostet diese Liebe? Kann man zwischen Sympathie, Liebesbehauptung und wahrhaft empfundener Liebe zwischen Staaten überhaupt unterscheiden? Es hat viel Spaß gemacht, z.B. die christliche Liebe für Israel zu untersuchen, die homosexuelle Liebe für israelische Männerkörper infrage zu stellen, oder die kulinarische Liebe für die israelische Küche zu erforschen. Es ist schon erstaunlich, dass Deutschen der 70. Geburtstag eines anderen Landes überhaupt wichtig ist.
Du selbst bist seit sechs Jahren einer von Zehntausenden Israelis in Berlin. Wie war deine Begegnung mit deutschen Juden, deren größte Gemeinde ja hier ansässig ist?
Als Stipendiat des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerks kam ich natürlich mit vielen Berliner Juden in Kontakt. Ich fand hier jüdische Freunde aus allen Ländern und nehme auch am jüdischen Leben teil. Allerdings habe ich mit dem Zentralrat der Juden als Sprachrohr große Probleme: Er ist kulturell und politisch so gespalten, dass ich eine gemeinsame und verbindende Identität schwer feststellen kann. Am meisten stört mich, dass jeder Angriff gegen Juden instrumentalisiert und die Gesellschaft in Alarmbereitschaft versetzt wird. Eine solche landesweite Empörung kann ich nicht feststellen, wenn mitten am Tag auf hellichter Straße einer Trans*-Frau der Kehlkopf eingetreten wird.
Weshalb stört es dich, dass der Zentralrat auf wachsenden Antisemitismus hinweist?
Weil es keine Probleme löst, wenn Zentralratspräsident Josef Schuster davon abrät, in Neukölln offen Kippa zu tragen, und damit einen ganzen Bezirk zur No-Go-Area erklärt. Oder islamophobe Ansichten in der Jüdischen Allgemeinen verbreitet werden. Und eine paranoide Stimmung um das Thema Antisemitismus verbessert auch nicht das jüdische Leben in Deutschland. Die Gemeinde muss endlich die Opferrolle aufgeben, und das Wort „jüdisch“ sollte nicht mehr mit Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit assoziiert werden, denn das ist die falsche Strategie. Juden spielen eine aktive und produktive Rolle in der Gesellschaft, und man sollte ihre Stimme hören – die aber nicht mehr als jede andere Stimme in der Gesellschaft zählen kann.
Wie sollte die Gemeinde deiner Meinung nach denn antijüdischen Tendenzen in der Gesellschaft entgegen treten?
Wie man Gleichstellung einfordern kann, ohne sich dabei als Opfer zu etablieren, zeigt die LGBTIQ*-Community doch sehr erfolgreich. Sie hat sich vorgenommen, sichtbar zu werden, und dies ist meines Erachtens die beste Wehr gegen eine Marginalisierung: Sich nicht zu verstecken, sich nicht dezenter zu verhalten in der Öffentlichkeit, sich in Kleidung und Haltung als Queers zu erkennen zu geben. Aus dem Grund können viele die queere Community beneiden, die sich zusammen schließt und durch die Städte marschiert. Auch sollte sich die jüdische Gemeinde überlegen, wie man sich mit anderen Minderheiten solidarisieren könnte, die sich in einer ähnlichen Situation wie sie befinden.
Stichwort Sichtbarkeit: Die Süddeutsche haderte ja mit deiner „überkandidelten Schwulenshow“, die taz empfand dein letztes Stück „so hemmungslos exhibitionistisch wie klug gebaut, und entlässt einen mit Fotos imposanter Schwänze“. Diese unübersehbare Queerness – ist dies dein Beitrag zu Sichtbarkeit?
Nein, ich bitte nicht um Verständnis und um eine ernsthafte Wahrnehmung für meine Community. Das mag daran liegen, dass meine Generation dank PrEP und nicht nachweisbarem HIV eine befreitere Sexualität genießt. Dies erst ermöglicht mir, mich in meiner Arbeit mit neuen Formen von Befreiung zu befassen, und um Abgründe. Mich interessiert die Verschränkung von Geschlecht und Pathologie, und auch die Performativität der Sexualität. Wenn ich also Unterwürfigkeit und Macht untersuche, dann geht es natürlich um Selbsterhebung, aber nicht dezidiert für LGBTIQ*-Personen, sondern jeden von uns.
Danke für das Gespräch. Wir lieben dich jetzt noch ein bisschen mehr.
Portrait-Aufnahmen von Noam: Lea Hopp